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E. R. Eddison


Styrbjörn der Starke (Leseprobe)


Im Morgengrauen des dreiundzwanzigsten Tages gingen sie an Bord. Es war ein grauer und nebliger Morgen, windlos, mit einem Sprühregen in der Luft. Styrbjörn kam mit Palnatoki und Sigvaldi zu den Schiffen hinab. Sigvaldi sollte als Hauptmann in Jomsburg bleiben. Palnatoki hatte seit vier oder fünf Tagen krank darniedergelegen, doch ließ sich dadurch nicht abhalten, mit Styrbjörn zu fahren.

Styrbjörn hatte Rabenflügel an seinen Helm gebunden. Als Sigvaldi das sah, meinte er: »Einige würden sagen, du hättest Todessehnsucht, Styrbjörn, da du einen so stolzen Frevel begehst, Rabenschwingen an deinem Helm zu tragen. Denn dies ist etwas, das keinem Menschen zukommt und nicht einmal den geringeren Göttern, sondern dem Allvater allein. Wenn du meinen Rat hören willst, so nimm sie ab. Denn ich fürchte, sie könnten uns Unheil bringen.«

»Sie werden erst abkommen«, antwortete er, »wenn sie mir in der Schlacht vor Uppsala abgehauen werden. Oder wenn ich als König dort sitze. Anders nicht.«

»Ich gebe dir diesen Rat«, sprach Sigvaldi, »aus meiner Liebe und Treue heraus. Man möchte sagen, wenn man dich so sieht, du hättest nun dein Glück in einem goldenen Käfig eingefangen. Doch ich fürchtete dich weniger in deinem schwermütigen Grimm letzten Winter.«

Styrbjörn lachte. »Eines verdammten Mannes Eisloch«, sprach er, »ist niemals zugefroren. Bleib mir vom Hals mit deinen weibischen Ängsten.«

Doch nun ereignete sich dies Unglück, dass Palnatoki, als er an Bord seines Schiffes ging, ausglitt und fiel und sich dort das Bein brach. Dies erschien den Männern als ein seltenes Missgeschick. Trotz dessen und seiner Krankheit, die noch schwer auf ihm lastete, wollte Palnatoki nicht Zurückbleiben; bis am Ende Styrbjörn ihn überzeugte, dass er als Kampfunfähiger diesmal in Jomsburg bleiben und Sigvaldi an seiner Statt mit nach Schweden ziehen lassen sollte.

Es gab Männer, die ihre Köpfe zusammensteckten und darin ein schlechtes Vorzeichen sahen und in den Rabenflügeln. Doch die meisten von ihnen vertrauten so sehr auf ihre eigne Kraft und Stärke und auf Styrbjörn, dass sie nicht gewillt waren, sich über eine so geringe Sache wie diese den Kopf zu zerbrechen. Sigvaldi hielt an sich und machte sich sogleich bereit, an Palnatokis Statt zu segeln. Doch die Männer, die ihn kannten, glaubten zu wissen, dass sein Herz nicht bei dieser Heerfahrt war.

Thyri kam mit ihnen hinab zu den Schiffen. Sie war gefasst und schien guter Dinge zu sein. Doch Björn kam jetzt ihr Traum zwei Jahre zuvor in Roskilde in den Sinn; und er glaubte zu wissen, dass es ihr schwerfiel, ein so fröhliches Gesicht aufzusetzen und ihre Ängste zurückzudrängen, da sie ihren Gemahl nun allen Ernstes mit einer großen Heerschar nordwärts in See stechen sah.

In einer windlosen Stille ruderten sie nun aus den See-Toren von Jomsburg hinaus. Styrbjörn stand am Vordersteven seines großen Schiffes Eisenwidder. Es war sowohl länger als auch höher gebaut als die anderen Schiffe, sodass jedermann sonst in jener Flotte zu Styrbjörn aufschauen musste und Styrbjörn auf sie herabblickte. Riesig und dunkel erhoben sich die Rabenschwingen über seinem Haupt, angemessener für einen Gott als für einen Sterblichen. Der Nebel wurde dünner und zerriss, und die Sonne hob sich über dem Festland und schien voll auf ihn mit der frischen und klaren Helle des Morgens.

Thyri stand auf den See-Mauern von Jomsburg und sah ihm zum Abschied nach, als die Flotte Kurs nach Westen nahm; und sie war wie eine Blume, die aus der Ferne einsam auf der nackten Felswand eines windumtosten Berges gesehen wird. Der Nebel zog wieder herauf und hüllte Thyri und Jomsburg ein, ließ nur einen Kreis von Meer um die Schiffe und helle Luft und Sonnenlicht zu ihren Häupten. Doch als die Schiffe unter dem äußeren Vorgebirge auf die See hinausfuhren, sahen sie als Schatten im Nebel über ihnen die Gestalt Moldis, der ihnen von der äußersten Grenze des Landes aus nachblickte.

So kam am vierten Tage, dem angekündigten dreißigsten Tage nach seiner Abfahrt, Styrbjörn in das Dänenreich zurück, und mit ihm kamen Sigvaldi, Björn und andere Häuptlinge der Jomsburger, und sie hatten einhundertundelf Schiffe aller Arten, voll bemannt. Nahezu zweihundert Schiffe der Jomsburger lagen bereits dort im Limf jord vor Alaburg und etwa einhundertvierzig von des Königs Schiffen.

Styrbjörn kam an Land und ging direkt, König Harald aufzusuchen. Der König sprach: »Willst du den Limfjord mit deinen Schiffen überbrücken, Styrbjörn?« Styrbjörn sagte, er wolle, dass der König sogleich ein Thing nach Alaburg einberufe. So ließ der König ein Thing einberufen, und als das geschehen war, ließ Styrbjörn ihn wissen, was er zu tun gedachte. »Und jetzt«, sprach er, »werde ich nach mehr als guten Worten von dir verlangen, Schwiegervater. Es liegen hier dreihundert Schiffe von uns Jomsburgern, bereit mit mir nordwärts zu fahren. Und ich will von dir so viel Unterstützung, wie du mir geben kannst, an Männern und Schiffen.«

»Das«, antwortete König Harald, »muss reiflich überdacht werden. Ich suche keinen Streit mit dem Schwedenkönig. Im Westen ziehen wir Wikinger des Dänenreiches, wohin wir wollen. Doch es gibt eine alte Rede, dass die Wellen der Ostsee ihre Lieder singen, um dem König der Schweden zu gefallen.«

»Mit dieser Antwort gebe ich mich nicht zufrieden«, sprach Styrbjörn.

Der König sprach: »Du hast immer noch den Trick, deine Börse mit anderer Leute Geld zu füllen.« Und er sagte: »Da du nun einmal mein Schwiegersohn bist, obgleich mich dieser Streit nichts angeht, werden wir dir vierzig Schiffe zur Verfügung stellen, ausgerüstet und bemannt.«

»Ich muss dich lehren, deinen Geiz zu zügeln«, sprach Styrbjörn dann. Und diese Wahl gab er ihnen: entweder, dass sie ihm zweihundert Schiffe stellten und den Mann obdrein, den er sich auswählte, mit ihm zu gehen, oder sonst würden Styrbjörn und sein Heer sich im Lande und den Wohnstätten der Dänen niederlassen und alles kahlfressen. »Und das wird euch als schweres Los erscheinen und schwerer zu ertragen. Doch ihr werdet erkennen, dass der Stärkere obsiegen muss.«

Am Ende, da sie sich sagten, dass die Not kein Gebot kennt, stimmten der König und sein Volk dem bei. Styrbjörn sagte, er werde nun den Mann erwählen, der mit ihm gehen solle. »Und das soll König Harald sein.« Der König erzürnte sehr darob, doch durch keine seiner Bitten oder Angebote ließ sich Styrbjörn bewegen. Styrbjörn war wie ein Mann, der nun ruhigen Gemütes mit der Hand am Steuer im Heck seines Schiffes sitzt und mit einem günstigen Wind auf das Ziel zusteuert, das er sich gesetzt hat.

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Am vierten Tag nach diesen vorgenannten Dingen stach Styrbjörn mit der ganzen großen Kriegsflotte der Jomsburger und der Dänen in See. König Harald wäre lieber an Bord seines eigenen Schiffes gegangen, doch Styrbjörn ließ ihn bei sich auf dem Eisenwidder fahren. Der König hatte nun die Weisheit jener Rede gelernt: »Versuche nie, dich dem Meer entgegenzustellen«, und er wollte nicht mehr gegen Styrbjörn streiten. Styrbjörn sagte zu Björn: »Ich werde meinem Schwiegervater mit Vorsicht trauen. Bis dieser Kampf vorbei ist, will ich ihn bei mir halten wie eine Puppe. Das wird gut für ihn sein und gut für seine Gefolgschaft. Denn sie werden sich sagen, dass ich ihn unverzüglich erschlagen werde, wenn sie mir nicht die Treue halten.«

So ruderten sie nun aus dem Hafen hinaus und den Limfjord hinab und setzten so Segel und nahmen Kurs aufs offene Meer. Zuerst steuerten sie südostwärts auf die Meerenge zwischen Seeland und Schonen zu, in der Absicht, so in Sichtweite der Küste Schonen zu umrunden und weiter nach Norden Richtung Sigtuna und Uppsala zu fahren. Und jene Flotte brauchte viel Platz, um zu segeln; und so, wie sie mit schäumender Bugwelle von Land aus zu sichten war, lag ein weites Feld zwischen dem ersten Schiff und dem letzten und zwischen dem, das am nächsten landwärts und dem, welches am weitesten draußen auf offener See fuhr.

Doch zu dieser Ausfahrt sangen die Dänen, die in Jütland zurückblieben, folgende Stäbe:

Niemals gaben Jüten Geld den schnellen Schiffen,
bis des Styrbjörns Strand-Wild stand am Lande wartend.
Nun muss Dän’marks Degen diesem Heerzug folgen:
Ohne Land und Leute seines Lebens fürchtend.